WEIHNACHTSKONZERT TEXT / 2017

Gedanken zum Mendelssohn-Weihnachtskonzert 2017

„Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott.“

In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat’s nicht begriffen. […] Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.“

Mit diesen rätselhaften und poetischen Worten beginnt das Johannes-Evangelium. Eine ganze theologische Welt öffnet sich hier. Der Dualismus zwischen Licht und Finsternis ist ein Grundprinzip der Weihnachtsbotschaft und spiegelt sich in unseren Bräuchen: Gott kommt in die dunkle Welt und erleuchtet die Menschen, wir entzünden Kerzen an Bäumen, auf Kränzen und Tischen.

In Mendelssohns Zweiter Sinfonie, die er als „Sinfonie-Kantate“ bezeichnet, ist der Antagonismus zwischen Dunkelheit und Licht, Nacht und Tag allgegenwärtig. Insofern passt das Werk in ein weihnachtliches Programm. Ursprünglich komponiert wurde der „Lobgesang“ allerdings zum 400-jährigen Gedenken an die Erfindung des Buchdruckes, ein Umstand, der zu einer weiteren Idee von „Licht“ führt. Der Buchdruck hat die Reformation erst ermöglicht, und zwar durch die günstige Massenverbreitung von Schriftstücken – vorher war die Herstellung von Büchern höchst aufwendig und Wissen somit ein Luxusgut für auserwählte Kreise.

Martin Luther hingegen setzt sich für Mündigkeit in Glaubensfragen ein und damit für die Befreiung von theologischen Zwängen in der katholischen Kirche. Luthers Ideen führen in seiner Nachfolge von geistlicher Gedankenfreiheit zum „Gebrauch des eigenen Verstandes“, wie der Philosoph Immanuel Kant formuliert. Musikalisch findet diese Idee der Aufklärung einen Widerhall in Joseph Haydns „Schöpfung“, die die Cantorei im vergangenen Jahr aufgeführt hat. Wie in der „Schöpfung“ steht im „Lobgesang“ das Licht als Antagonist zum Chaos und erfährt eine höchst wirkungsvolle Darstellung im triumphalen C-Dur. Diese „reine“ Tonart ohne Vorzeichen findet auch in der Choralkantate „Vom Himmel hoch“ reichlich Verwendung – dem ersten Stück des heutigen Abends.

Dies führt uns zu einem dritten möglichen Höransatz für das Konzert: Das Einstehen für Grundwerte, die für unser heutiges Zusammenleben essentiell sind, aber von vielen Seiten bedroht werden. „So lasst uns […] anlegen die Waffen des Lichts“, diese zunächst martialisch anmutende Aufforderung, kann in diesem Sinne als Ermunterung zur Besinnung auf die Kraft des Verstandes gedeutet werden.

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